Bericht für Uni-Zeitschrift

Text von Daniele Tucciardone

Vom 4. bis zum 12.06. dieses Jahres fand am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Veranstaltungsreihe zum Thema „Italien im Wandel – Der Beitrag der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung der Mafia in Italien und Europa“ statt. Alle Veranstaltungen wurden von den Studierenden des Faches Italienisch organisiert und koordiniert, mit dem Ziel, ihre Eigeninitiative sowie ihre Fachkompetenzen im Bereich der kulturellen Mediation, der Übersetzung, des Dolmetschens und der Organisation von Veranstaltungen zu fördern.

Ein weiteres Ziel des Projekts war nicht nur, jungen Studierenden, von denen viele erst seit einem oder zwei Jahren die italienische Sprache lernen, zahlreichen interessierten Gästen sowie Dozenten, eine konkrete Vorstellung von dem Ausmaß zu geben, das die Machenschaften der Mafia weit über Süditalien hinaus angenommen haben, sondern auch mit dem Vorurteil aufzuräumen, wonach die Mafia ein rein italienisches Problem sei, von dem vor allem Deutschland gar nicht betroffen sein könne.

Wie besonders durch die Aussagen Bernd Fingers, des Leitenden Kriminaldirektors im Landeskriminalamt Berlin, klar werden sollte, schafft es die Mafia auch hierzulande immer mehr, ihr perfides System von Geldwäsche, Erpressung, Korruption, Wirtschaftskriminalität, Raub und Mord walten zu lassen, das ihr immer größere Gewinne und immer mehr Einfluss und Macht verschafft. Finger, der sich seit vielen Jahren der Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Berlin verschrieben hat, stand bei der Tagung und steht seit 2007 Laura Garavini unterstützend zur Seite. Sie ist als Mitglied des italienischen Parlaments nicht nur Teil von dessen Antimafiakommission, sondern auch Gründerin des Vereins Mafia? Nein Danke!, der sich als Ziel gesetzt hat, in der deutschen Öffentlichkeit ein Bewusstsein für das Problem der organisierten Kriminalität zu schaffen, die Entwicklung und Ausbreitung der Mafia in der deutschen Gesellschaft zu dokumentieren und die Zivilgesellschaft zum aktiven Widerstand gegen das organisierte Verbrechen zu bewegen.

Zu Gast war auch Claudio La Camera, Koordinator des „Museo della ‘Ndrangheta“. Die Rolle, die das Museum in der Antimafiabewegung einnimmt, ist eine ganz besondere. Während Politiker wie Garavini versuchen, die Mafia auf Gesetzesebene zu bekämpfen, und dem aufkommenden Widerstand der Gesellschaft, trotz offensichtlicher Verstrickungen der italienischen Politik und Justiz, Legitimität zu verleihen, lautet La Cameras Stichwort Entmystifizierung. Hauptziel des Museum ist es, den Mythos ‘Ndrangheta zu brechen. In Kalabrien, dem Hoheitsgebiet der mafiösen Vereinigung, deren Name so viel wie ‚Heldentum‘ bedeuten könnte, schweigen viele Bürger zu den grausamen Verbrechen der ‘Ndrangheta und spielen ihr durch Befolgen deren obersten Gesetzes, der Omertà, oftmals unbewusst in die Karten. Den Mythos der Mafia zu brechen heißt, das Phänomen der Vereinigung zu rationalisieren, zu zeigen, dass die ‘Ndrangheta wie alle anderen kriminellen Organisationen ein Problem ist, das seine Wurzeln tief in den Köpfen der Menschen hat, und dass es nur einen Sinneswandel, ein Wort der Einsicht braucht, um der Gewalt, der Erpressung und dem ewigen Morden ein Ende zu bereiten. Man muss den Mafien die Strahlkraft nehmen, indem man vor allem jungen Menschen die Augen öffnet und ihnen zeigt, dass sie mit ihrer Energie und mit ihrem Willen die Gewaltherrschaft des Verbrechens besiegen können.

Wenn man die Mafia bekämpfen möchte, dann reichen Gesetze oftmals nicht. Diese können umgangen oder durch wechselnde Regierungen wieder zu Gunsten der Mafia verändert werden. Die Mafia ist ein durch Menschen geschaffenes Monstrum, das nur durch Menschen besiegt werden kann. Durch Menschen, die all ihre Kraft und all ihre Leidenschaft und manchmal sogar ihr Leben geben, um den Menschen das zurückzugeben, was ihnen von Anbeginn ihres Lebens geschenkt war: Freiheit und Würde. Doch wenn diese Menschen, wie Paolo Borsellino, Giovanni Falcone, Rita Atria, Peppino Impastato, Rocco Chinnici, Carlo Alberto Dalla Chiesa, Pio La Torre und all die anderen Opfer der Mafia, ihr Leben lassen, und drohen in Vergessenheit zu geraten, dann braucht es wiederum engagierte Menschen, die die Erinnerung an sie hochhalten, die ihre Errungenschaften nutzen, und die durch sie eingeschlagenen Wege konsequent weitergehen. In Italien wurde nach dem Tod des Politikers Pio La Torre im Jahre 1982 das nach ihm benannte Gesetz eingeführt, das es erlaubt, Personen zu enteignen, die auch nur im Verdacht stehen, Verbindungen zur Mafia zu haben. Dies führte dazu, dass auf Sizilien hunderte von Mafiabossen enteignet wurden. Neben dem Pio-La-Torre-Gesetz gibt es ein weiteres Gesetz, das es erlaubt, die konfiszierten Mafiagrundstücke für zivilgesellschaftliche Zwecke zu nutzen. Dies tut seit 2001 auch die Kooperative Libera Terra, die auf jenen Äckern, auf denen einst Arbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen, unter Angst und Erpressung und für viel zu geringe Löhne arbeiten mussten, nutzt, um nachhaltige Landwirtschaft und faire Arbeitsbedingungen zu garantieren. In Zusammenarbeit mit Addiopizzo veranstaltet Libera Terra regelmäßig Reisen und Aufenthalte auf den bewirtschafteten Feldern. So schaffen es die Kooperativen durch produktive Zusammenarbeit nicht nur, den sizilianischen Landarbeitern ein würdiges Leben und faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (Libera Terra), sondern auch das Bewusstsein der Bevölkerung für Gerechtigkeit und den aktiven Widerstand gegen die Gewalt und gegen die Schutzgeldzahlung (Addiopizzo) zu fördern. Die Antimafiabewegungen könnten aber womöglich nicht so erfolgreich sein, wenn nicht auch immer häufiger Vertreter der italienischen Industrie, wie beispielsweise die Supermarktkette Coop, Händler im In-und Ausland, wie Martin Klupsch, die die erwirtschafteten und fair gehandelten landwirtschaftlichen Güter vertreiben, Politiker wie Laura Garavini, Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Petra Reski und Regisseure wie Alberto Castiglione immer häufiger mutig ihre Stimme gegen Gewalt, Mord und Erpressung erheben würden.

Seinen Höhepunkt fand das Projekt in der Aufführung des Theaterstücks „Per non dimenticare“ („Um nicht zu vergessen“). Das Stück, das zur Erinnerung an die Staatsanwälte Paolo Borsellino und Giovanni Falcone sowie an Peppino Impastato und Rita Atria aufgeführt wurde, war von Germersheimer Studierenden unter der Leitung Herrn Lenzis mehr als acht Monate lang vorbereitet worden. In der Aufführung, die auch dank der Arbeit der Übersetzer, die das Drehbuch komplett übersetzt und das Theaterstück übertitelt haben, zu einem grandiosen Erfolg wurde, konnten all jene Traurigkeit, all jene Wut über die schreckliche Mafiarealität und gleichzeitig all jene Hoffnung zum Ausdruck kommen, die jeder Schauspieler in seine Rolle hineintrug. So wurde das Projekt für alle Beteiligten ein unvergessliches Erlebnis und ein erster Schritt, dem hoffentlich Meilensteine folgen werden.